Rede Stephan Kuserau zum Gedenken an die Reichspogromnacht
Wir sind hier heute an dieser Stelle zusammengekommen, um den Opfern der Naziverbrechen zu gedenken, am Jahrestag der Reichspogromnacht. In der Nacht vom 9. November 1938 kam es im Deutschen Reich zu organisierten Übergriffen gegen Juden und jüdische Einrichtungen. Synagogen wurden in Brand gesteckt, jüdische Geschäfte zerstört. Hunderte unschuldiger Menschen kamen zu Tode. Die Pogrome im November 1938 waren der Auftakt zur systematischen Verfolgung unter den Nationalsozialisten und dem Holocaust an den Juden.
Auch die Schweinfurter Synagoge, die an dieser Stelle stand, wurde bei dem Pogrom geplündert und entweiht. Jüdische Schweinfurterinnen und Schweinfurter wurden ihren Häusern überfallen und beraubt. Selbst wenn sie sich trauten, ihre Peiniger anzuzeigen, wurde ihnen ihr Recht verweigert.
Schon von Anfang an war der Antisemitismus ein Hauptkennzeichen der nationalsozialistischen Ideologie. So wurde beispielsweise in dem Nazi-Kampfblatt „Die Flamme“, das seit 1926 in Bamberg erschien und auch in der Region Schweinfurt verbreitet war, immer wieder unübersehbar Hetze gegen die Juden betrieben. Das Blatt titelte: „Meidet jüdische Ärzte und Anwälte!“, „Kauft nicht beim Juden!“ oder „Der Jude ist dein Todfeind!“.
Schon am 8. November ereifert sich die Parteizeitung der Nationalsozialisten, der „Völkische Beobachter“ darüber, dass in Deutschland „Hunderttausende von Juden noch ganze Ladenstraßen beherrschen“. Am Abend des 9. November sagt Propagandaminister Joseph Goebbels in einer Rede, Ausschreitungen von Juden seien „von einer Partei weder vorzubereiten noch zu organisieren“, allerdings sei ihnen „soweit sie spontan entstünden, auch nicht entgegenzutreten“. Eine unverblümte Aufforderung.
In den Tagen nach der Pogromnacht wurden über 30.000 Juden verhaftet und in Konzentrationslager verschleppt. Die materielle Bilanz der Gewalt in Deutschland waren 1.200 niedergebrannte Synagogen und Gebetshäuser und 7.500 zerstörte Geschäfte.
Der Terror der Pogromnacht wurde fortgesetzt durch Verordnungen und die sogenannte Arisierung aller jüdischen Unternehmen. Damit wurde allen Juden die Teilnahme am Wirtschaftsleben genommen. Nach den Pogromen setzte eine neue Welle von Gesetzen gegen Juden ein, die ihre Reche noch weiter einschränkten.
Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde,
ohne Zweifel erwächst aus dem Gedenken an die Schrecken der Vergangenheit die unbedingte Verpflichtung für heute: gemeinsam gegen Neofaschismus, Rassismus und Ausgrenzung einzutreten!
Diese Verpflichtung heißt für jeden von uns jeden Tag: Achtsamkeit und Courage!
Das war und ist nicht immer leicht, vor allem in einer Zeit, in der bei vielen die Hemmungen fallen, wieder am rechten Rand zu wählen und sich offen zu rechtsradikalen Einstellungen zu äußern – in der Sicherheit, sich im vorherrschenden Meinungsklima zu befinden.
Wie radikal die AfD – in Person der Parteivorsitzenden – derzeit versucht, den Boden wieder für rechtsradikales, ja faschistisches Gedankengut vorzubereiten, zeigt entlarvend ihr Vorstoß im September dieses Jahres. Dort sagte sie der „Welt am Sonntag“, das Wort „völkisch“ müsse wieder positiv besetzt werden. Es sei zudem eine „unzulässige Verkürzung“, wenn gesagt werde, „völkisch“ ist rassistisch.
Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde,
ich gebe offen zu, dass ich nicht gedacht hätte, dass wir uns noch ernsthaft mit solchen öffentlichen Aussagen, von offensichtlicher ideologischer Herkunft und von einer wachsenden Anzahl beklatscht, grundlegend beschäftigen müssen. Hier ist unser entschiedenes Nein gefordert!
Hinter „völkisch“ steht vor allem das rassistische Konzept, dass Völker oder Volksgruppen ethnisch und kulturell homogen, sowie ihre Homogenität und Existenz zu sichern seien. Der Begriff hat eine lange Geschichte. Erstmals tauchte er etwa 1870 im Deutschen Reich und in Österreich-Ungarn als Synonym für „national“ auf. Unzweifelhaft verwendeten den Begriff die Nazis! „Völkisch“ diente der Abgrenzung einer vermeintlichen deutschen Volksgemeinschaft gegenüber Gruppen, die von den Nationalsozialisten als minderwertig angesehen wurden. Der „Völkische Beobachter“, dessen Rolle ich bereit erwähnt habe, war die auflagenstärkste nationalsozialistische Tageszeitung, es war das „Kampfblatt“ der Nationalsozialisten, wie es sich selbst nannte. Dieser Begriff führte Deutschland in das dunkelste Kapitel seiner Geschichte!
In der Vergangenheit haben führende AfD-Mitglieder immer wieder öffentlich dargelegt, was sie unter dem Begriff des „Volks“ verstehen – und das deckte sich stark mit dem völkischen Verständnis.
Warum sagt die AfD-Vorsitzende so etwas, warum fordert sie, einen eindeutig nationalsozialistischen Begriff wieder zu verwenden?
Völkisch grenzt aus. Es benennt den Wunsch, alles abzulehnen, was nicht zum eigenen Volk gehört. Es soll die Angst schüren, dass zu viele fremde Menschen herkommen und das Bestehende verändern könnten und es ist das Bemühen, mit jedem wiederbelebten Begriff von damals auch ein Stück der Ideologie dieser Zeit in aktuellen Debatten zu verankern. Erst tauchte die „Lügenpresse“ wieder auf, dann die „Umvolkung“, auch den „Volksverräter“ gibt es schon wieder, und nun auch noch „völkisch“.
Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde,
wir müssen das ernst nehmen. Wir dürfen nicht zulassen, dass einer zutiefst menschenfeindlichen Ideologie der Widerspruch fehlt!
Hier, am Gedenkstein für die Schweinfurter Synagoge erinnern wir uns heute gemeinsam an den millionenfachen Mord an unseren jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern, denen die nationalsozialistische Ideologie das Leben kostete. Dass dieser Gedenkstein mit der Umgestaltung des Platzes jetzt einen würdigen Rahmen gefunden hat, ist dem Willen der Schweinfurter „Initiative gegen das Vergessen“ zu verdanken.
Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde,
vergessen wir nie: Die Würde des Menschen ist unantastbar!